Wo die Zeit still steht

Gipfelträume von damals – Traumtouren von heute 

2016 bestieg ich das Matterhorn hauptsächlich, weil mich die Schönheit des Berges faszinierte. Gaston Rébuffat hatte da seine eigenen Ansichten. Es gäbe viele Gründe das Matterhorn zu besteigen, sagte der Ausnahmealpinist, aber der Hauptgrund sei doch, das Matterhorn zu besteigen. Warum auch immer, irgendwann stand also auch ich am ausgesetzten Liongrat, oberhalb der 4000-Meter-Marke, in einem Labyrinth, bestehend aus Fels und unangenehm viel Luft. Und da sah ich es. Auf einem der vielen tausend Felsen: Die ins Gestein geritzten Initialen von Jean-Antoine Carell. Daneben die von Whymper. Die beiden Pioniere lieferten sich ein erbittertes Rennen um die Erstbesteigung des Matterhorns. Sie wollten mit diesen Markierungen beweisen, wie nahe sie dem Gipfel schon gekommen waren. Datieren lassen sich die Buchstaben auf die Jahre 1861 (Carell) und 1862 (Whymper). Pioniere des Alpinismus. Niemand war es bis dahin gelungen so weit auf das „Horu“ hinaufzusteigen. 

Große Fußstapfen – Am Wilden Kaiser

Zugegeben, auch mit detailliertem Topo in der Tasche und aktualisiertem Wetterbericht auf dem Smartphone, stellte der Liongrat eine Herausforderung für mich dar. Doch wie meine Hände über die Markierungen streichen, kann ich plötzlich nachvollziehen, wie es sich für die Ersten angefühlt haben muss. Und so gesellt sich zu den vielen Gründen das Matterhorn zu besteigen ein neuer: Das Eintauchen in eine Geschichte, die auf den Routen, in den Fußstapfen der Pioniere, so greifbar wird, wie nirgendwo sonst.


In den Alpen gibt es unzählige solcher Berge. Auf ihnen spielten sich Rennen, Dramen und Erfolge ab. Sich vor einer Besteigung mit der Geschichte des Berges auseinanderzusetzen, kann also den Aufstieg zu einem fulminanten Gesamterlebnis steigern. Wie beispielsweise am Wilden Kaiser.


Rundum fallen die Wände steil ab. Schroff und abweisend wirkt der „Koasa“. Und gerade deswegen schrieben die Pioniere hier schon früh Geschichte. Klingende Namen, wie Paul Preuß, Georg Leuchs und Hans Dülfer, sind hier an der Tagesordnung. Und auch heute noch wird die Geschichte weitergeschrieben. Glowacz, Huber, Zangerl. Grund genug für die Kitzbüheler Bergführer die sechs bedeutendsten historischen Routen des Kaisers in ein neues Licht zu rücken. Das Ergebnis: Kaiser hoch 6!


Der Nordgrat der Goinger Halt sowie jener der Fleischbank, der Führerweg am Totenkirchl, der berühmte Kopftörlgrat an der Ellmauer Halt, die Nordkante des Predigtstuhl und die Dülferführe am Lärcheck. Sechs geschichtsträchtige Routen. Vor über einhundert Jahren waren die Erschließungen solcher Routen noch den weltbesten Kletterern vorbehalten. Heute führen die Kitzbüheler Bergführer Gäste über griffigen, festen Fels, bestens abgesichert. Plaisier-Klettern, im Geschichtssaal der Alpen.

Die Idee zu Kaiser hoch 6 kam Tom Rabl. Als staatlich geprüfter Berg- und Skiführer ist er auch Präsident des Tiroler Bergsportführerverbands und Obmann der Kitzbüheler Bergführer. Ausschlaggebend für ihn war, dass viele der ortsansässigen Bergführer mit ihren Gästen außerhalb des Wilden Kaisers kletterten. Zeit, den alten Routen neues Leben einzuhauchen. Mit seinen Kollegen arbeitet er die letzten Details aus und sorgt mit einer imposanten Leistung für Aufsehen: In nur einem Tag, zwischen Sonnenauf- und -untergang, durchsteigt Rabl mit seinem Kollegen Andi Gastl alle sechs Touren in nur einem Zug. 5000 Höhenmeter im Aufstieg. 5000 Höhenmeter im Abstieg. Der Plan geht auf.


„Wir wollten mit diesen Routen auch Bergsteigern ein besonderes Erlebnis ermöglichen, die nur wenig oder keine Erfahrung in derartigem Gelände haben.“ Rabl erklärt weiter, dass viele Gäste es nicht nur bei einer Tour belassen. Das Sammeln der Touren sei beliebt und als kleine Belohnung gebe es sogar jeweils eine Express-Schlinge, mit eingraviertem Gipfelnamen. Als Geschichts- und Gebietskenner darf sich also bezeichnen, wer alle sechs Exen am Gurt hängen hat. 


Heute stehen die sechs Routen dank der Kitzbüheler Bergführer also wieder im Fokus. Und selbstverständlich lassen sie sich dafür meistens auch mehr Zeit – denn die braucht es: Zeit zum Genießen, zum Träumen, zum Durchschnaufen. Und zum Fühlen. Beispielsweise, wie sich Otto Oppel 1906 über das ausgesetzte und nach ihm benannte Felsband bewegt haben muss. Die Nordkante am Predigtstuhl zählt sogar als ausgesetzteste Kletterei der Nordalpen – dabei sind die Schwierigkeiten der sechs Routen aus heutiger Sicht moderat. 

In manchen der Führen gebe es auch noch Original-Material der Pioniere zu finden, erzählt Rabl, meist in Form von Schlaghaken. Und der Kaiser hat auch noch weitere geschichtliche Highlights zu bieten. Der Bergführer erzählt von einem Gipfelbuch, welches seit der Erstbegehung ununterbrochen jede Besteigung auflistet. Weniger als 1000 Menschen standen auf diesem Gipfel, was zeigt, dass das Bergmassiv auch neben und um Kaiser hoch 6 mit weiteren Besonderheiten auf Kletterer wartet. Rabls Lieblingstour ist und bleibt allerdings die Nordkante am Predigtstuhl. Von allen Kaiser hoch 6 Touren biete sie das eindrucksvollste Erlebnis: „Einfach, weil es eine coole Tour in diesem Schwierigkeitsgrad ist. Steiler Fels, ausgesetzt. Toller Gipfel!“ Und es geht sogar noch steiler: Sieben der 100 Touren aus Walter Pauses Kult-Werk „Im extremen Fels“ befinden sich im Wilen Kaiser – daraus wurde „Kaiser hoch 7“. Und wer es doch etwas entspannter angehen möchte, für den haben haben die Kitzbüheler Bergführer Kaiser hoch 5 ins Leben gerufen. Weniger anspruchsvoll, dafür aber mit bestem Blick auf die Routen der Pioniere.


Große Wände – Am Watzmann

Wie am Kaiser, so wurden auch im benachbarten Berchtesgadener Land mutige Bergsteiger schon früh von großen Wänden angezogen. Besonders der Watzmann spielt hier eine herausragende Rolle: Seine Ostwand gilt mit 1800 Metern als die höchste Wand der Ostalpen. Am 18. Juni 1881 gelingt dem Holzknecht und Bergführer Johann Grill, genannt Kederbacher, aus Ramsau ein bedeutender Meilenstein der Alpingeschichte: Gemeinsam mit dem von Grill geführten Otto Schück meistert er die Durchsteigung der Ostwand - in nur 14 Stunden.


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