Nockin‘ on Heaven‘s Door
Zeit ist relativ. Und die Schönheit, die liegt, wie man weiß, im Auge des Betrachters. Zwei Dinge, über die man sich auf dem Nockberge-Trail viele Gedanken machen kann. Schön sind für mich die Hochebenen der Nockberge, mit ihrem bronzefarbenen Gras, den weiten Ausblicken, dem sanften Auf und Ab, der Einsamkeit. Und die Zeit? Die verschwimmt zu etwas Ungreifbarem – weit entfernt vom Ticken der Uhr. Tag ein. Tag aus. Wandern, stundenlang, kilometerlang. Derweil gewinnt die Zeit an Wert. Wir genießen die ruhigen Augenblicke miteinander. Finden endlich richtige Momente für wirklich wichtige Gespräche. Aber auch immer die Zeit, um Ausblicke zu genießen. Um die Menschen, ihre Hütten und ihre Küche kennenzulernen. Auf unserem Weg durch die Nocky Mountains.
Alles nur ein (Wort-)Spiel!
Das bereits erwähnte sanfte Auf und Ab ist namensgebend für die Bergregion in Kärnten: Nocken, das sind runde Kuppen, weiß Florian Neuschitzer, keine schroffen Spitzen. Wie die starken Schultern von Riesen, auf denen spazierend man die Welt von oben betrachten kann. Denn genau so fühlt es sich an: Ein wenig märchenhaft. Manchmal etwas abgehoben. Irgendwo zwischen urig wild und kitschig schön.
Acht Tage. 128 Kilometer und weit mehr als 6.000 Höhenmeter. Das sind die Spielregeln. Der Weg? Meist unschwierig, mal steil, mal nicht. Zwar schadet ein gewisses Maß an Trittsicherheit nicht, doch sind die wenigen ausgesetzten Passagen schnell überwunden. Konditionell wird dagegen einiges gefordert. Mehr als zwanzig Kilometer und eintausend Höhenmeter sollten täglich schon zu machen sein, denn das fordern die längsten Etappen des Trails. Gut also, wenn die Schuhe eingelaufen sind. Kleine Erleichterung: Der Gepäcktransport von Hütte zu Hütte wird von unsichtbaren, sogar preisgekrönten Helfern übernommen – den Trail Angels.
Gestartet wird im Norden, an der Katschberghöhe. Der Millstätter See, Endpunkt des Fernwanderweges, ist acht Tagesmärsche entfernt. Weit hinter den Bergen. Am besten also, man beschäftigt sich gar nicht damit und lässt die Gedanken einfach ziehen. Dann ist man vollends auf dem Nockberge-Trail angekommen. Wer das schafft, hat das Spiel eigentlich schon gewonnen!
Rau und sanft zugleich
Gemeinsam mit dem Salzburger Lungau, ist der Biosphärenpark Nockberge seit 2012 der größte UNESCO Biosphärenpark Österreichs. Hier arbeitet Florian Neuschitzer als Ranger. Für ihn bedeutet das vor allem Bildungsarbeit. Oft sind ganze Schulklassen zu Besuch – und auch umgekehrt klären die Ranger in Schulen auf. Als ausgebildeter Bergwanderführer darf Florian sogar Wanderer über die Nockberge führen – und dabei ihre Geheimnisse verraten.
Geheimnisse gibt es hier genug: Dinge, an denen man nur zu eilig vorbeiwandern würde, wüsste Florian nicht etwas darüber zu erzählen. Da ist beispielsweise die Vielfalt und Bedeutung der bunt blühenden Almwiesen. In den Nockbergen leben seltene Pflanzen – manche von ihnen sogar ausschließlich hier. Die Tierwelt ist in dieser naturbelassenen Bergwelt ebenso von besonderer Bedeutung wie die Geologie.
Der Biosphärenpark Nockberge ist in drei Teile aufgegliedert: Die Entwicklungszone, die Pflegezone und die Kern-, beziehungsweise die Naturzone. Auf dem Nockberge-Trail durchwandert man diese Zonen gleich mehrfach. Dabei versteht man, dass die Region groß genug für alle ist. „Um unseren Lebensraum sowohl in seiner Schönheit zu erhalten als auch nachhaltig zu entwickeln, benötigt es Bereiche, die möglichst ursprünglich und natürlich bleiben und andere Bereiche, in denen sich der Arbeits-, Wirtschafts-, und Lebensraum für die Bevölkerung weiterentwickeln kann. Biosphärenparkzonen gliedern diese Bereiche und schaffen ein Gleichgewicht zwischen ihnen.“ Dafür sei allerdings auch Fingerspitzengefühl nötig, weiß Florian.
Das Konzept funktioniert dennoch: Die Tourismus- und Freizeitwirtschaft erschließt die Region mit Bergbahnen, Restaurants und Berghütten. Ein Umstand, den auch wir uns nicht entgehen lassen. Am Nock IN, hoch über Bad Kleinkirchheim, genießen wir beispielsweise eine vorzügliche Stärkung, bevor es weiter zum Erlacher Haus geht. Über strahlende Wiesen und durch regennasse Wälder, in denen wir lange Zeit keiner Menschenseele begegnen. Gegenüber versteckt sich der Große Rosennock, mit 2440 Metern höchster Gipfel der Berggruppe, immer wieder im Nebel. Ein Hauch Island. Nordische Tundra. Auch wenn die Landschaft gerne als lieblich und sanft beschrieben wird, so wirkt sie nun auf uns rau und unerbittlich. Natur pur!
Zwischen echtem Speik und Flockenstieligem Hexenröhrling
Sechs Tage sind wir nun schon auf Tour. Wir haben die Anderle Seen erwandert, die Turracher Höhe und den 2308 Meter hohen Falkert. Wir fanden leckere Speisepilze, wie den Flockenstieligen Hexenröhrling, der an Schnittflächen auffällig blau anläuft. In Bad Kleinkirchheim genossen wir die Therme und besuchten die kleine Kirche St. Kathrein, mit ihrer wunderbaren Krypta, in der eine Quelle zu Tage tritt. Das Erlacherhaus empfing uns erst gestern mit frischen Forellen und uriger Stimmung. Im dichten Wald kehrte danach schnell eine fast mystische Ruhe ein. Nicht aber, bevor das Abendlicht die italienischen Gipfel am Horizont in warme Farben tauchte. Hinter dem Haus, da ragte, ganz untypisch für die Nockberge, die steile Wand des Predigerstuhls bedrohlich in die Höhe.
(...)
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