Josef Gwiggner: Ein österreichischer Bergsteiger und Autor im Portrait

Drei Bücher liegen zwischen Josef und mir auf dem Tisch. „Im extremen Fels“ ist auf ihnen zu lesen und obwohl die Bücher aussehen wie neu, so weiß ich genau, dass die erste Auflage bereits vor 52 Jahren erschien.


Sepp war zu dieser Zeit 20 Jahre jung. Eine Tischlerlehre hatte er da schon absolviert, hier in der Wildschönau, wo er aufwuchs und die Liebe zum Wandern fand. Später dann im Bundesheer, da lernte er seinen ersten Kletterpartner kennen. Die Bergtouren wurden anspruchsvoller.

Erst der Wilde Kaiser, bald schon der gesamte Alpenbogen.

„1970 gelang uns der Lucke-Strobel-Riss am Bauernpredigtstuhl. Eine anspruchsvolle und anstrengende Kletterei. Dabei banden wir uns anfangs das Seil nur mit einem Bulinknoten um die Brust.“


Sitzgurte improvisierten die Bergsteiger erst später aus langen Reepschnüren. Passieren durfte so natürlich nichts. 50 Jahre extremes Klettern. 50 Jahre, die den „Wüdschnaua Sepp“ prägten und lehrten.


„Die 100 Touren, die Walter Pause in seinem Buch erstmals vorstellte, allesamt große Klassiker – das war natürlich ein Meilenstein. Aber als wir die Lucke-Strobel kletterten, wussten wir noch gar nichts davon. Die erste Pause-Tour haben wir also ganz unbewusst gemacht.“


Pause-Touren sammeln wollte Gwiggner nie ernsthaft. Aber wer ein so intensives Bergsteigerleben lebt, der ist früher oder später sowieso nah dran. Oder auch nicht.


„In dem halben Jahrhundert Bergsteigen verlor ich vier allerbeste Bergkameraden. Glücklicherweise waren diese Männer jedes Mal mit einem anderen Partner unterwegs. Ich war nie dabei.“


Glück im Unglück nenne ich das. Der Sepp nennt es Schutz von oben. Er dankte dem Herrgott nicht nur nach den großen Bergen, sondern bat immer schon auch zuvor um Schutz und Obhut. Heute ist nur das Knie kaputt – lediglich eine Verschleißerscheinung. Sepps lebensfrohe Berggeschichten sind aber immer auch gespickt mit dramatischen Sezen. Mit Steinschlag, Gewitter, Rückzug und Tod. Als wäre es gestern gewesen erzählt der 72-Jährige von den haarsträubenden Erlebnissen am Bonattipfeiler.


Der Bonattipfeiler an der Petit Dru ist dabei ein entscheidendes Element in Sepps Pause-Sammlung. Denn als er 2006 tatsächlich seine letzte Pause-Tour durchstieg (Ailefroide NW-Wand), waren große Teile der Dru bereits einem Bergsturz zum Opfer gefallen.


„Es ist mir ein Rätsel, wie ein derart kompakter Fels über so große Bereiche abstürzen kann. Aber in diesem Moment war ich der erste und natürlich auch letzte Mensch, der alle 100 Pause-Touren klettern durfte.“


Genaugenommen waren es da schon 106 Touren, denn der Autor hatte bereits in der ersten Auflage zwei der vorgestellten Touren mit einer Alternative ergänzt, in der zweiten Auflage erschienen gleich vier gänzlich neue Routen.


„Viele dieser Pause-Touren kletterte ich mit Christoph Klein, der dann später die dritte Auflage des Buches veröffentlichte. Und wieder wurden Touren ausgetauscht. Insgesamt sieben. Fünf davon hatte ich, wie damals schon die Lucke-Strobel, ohnehin schon im Sack.“


Den Rädlergrat in den Allgäuer Alpen und die Casarotto-Verschneidung in der eher unbekannten Pale di San Lucano waren aber noch offen. 65 Jahre war der Wüdschnaua Sepp da schon alt – und hegte Zweifel. Doch gemeinsam mit Klein gelang ihm in nur fünf Tagen der Schlussstrich: Der Rädlergrat, quasi als Eingehtour, und die Casarotto, mit der Sepp nach einem durchstandenen Biwak die 114 vollmachte. Natürlich aber ist schon jetzt eine Neuauflage in Arbeit. Ob er dann nochmal nachlegt? Ein glückliches Lachen ist die Antwort, das Knie will ja nicht mehr. Aber dem Sepp scheint das nichts auszumachen.


„Zwischen meinem 14. und 16. Lebensjahr wanderte ich durch die Berge. Zwischen 16 und 20 kletterte ich leichte Touren. Und zwischen 20 und 70 war ich im extremen Fels unterwegs. Das allein ist schon außergewöhnlich. Und so wie es ist, ist es auch gut.“

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