Jenseits des Parks

Rund um Saalfelden Leogang kommen nicht nur Downhill-Cracks auf ihre Kosten. Genuss-E-Mountainbiker finden in Österreichs größter Radregion unzählige Panoramastrecken für jeden Geschmack und Anspruch – und wer möchte, baut vielleicht ja doch den einen oder anderen zahmen Singletrail in die Tour ein.

Text: Günter Kast | Fotos: Günter Kast, Hotel Rupertus, TVB Saalfelden Leogang

Ein Samstagmorgen in Leogang nahe der Talstation der Steinbergbahn: Dutzende Enduro- und Downhill-Piloten stehen mit ihren Boliden an, um die erste Bergfahrt zu erwischen. Willkommen im „Epic Bikepark Leogang“, einem der größten Europas! Wir sehen vorwiegend junge Menschen mit martialisch anmutender Rüstung, äh: Ausrüstung: Integralhelme, Protektoren für Wirbelsäule und andere Knochen, sehr breite Lenker. 180 Millimeter Federweg sind hier Standard, mindestens. Weitere E-Mountainbikes? Fehlanzeige! Wir kurbeln mit unseren Stromern deshalb schnell vorbei an der Meute, wollen in der adrenalinhaltigen Atmosphäre nicht stören.


Keine zwei Kilometer weiter treten, nein: fahren wir in eine andere Welt hinein. Gerade noch kamen wir uns wie eine bemitleidenswerte Minderheit vor. Jetzt gehören wir zum Mainstream: Wir begegnen scharenweise Genuss-E-Mountainbikern, die auf mal asphaltierten, mal geschotterten Rad- und Forstwegen durch das Talbecken cruisen. Die Grasberge zwischen Leogang und Saalbach-Hinterglemm mögen der Abfahrer-Fraktion gehören. Der große Rest der Region ist fest in der Hand der Tourenfahrer, die ausgedehnte Panorama-Runden lieben. Damit uns das auf Dauer nicht zu langweilig wird, hat uns der Tourismusverband Emil an die Seite gestellt. Der gebürtige Niederländer lebt bereits seit mehreren Jahren in Leogang. Die jüngeren seiner Gäste wollen zwar meist in den Park (die Väter werden erst gar nicht gefragt), um an ihrer Fahr- und Sprungtechnik zu feilen. Aber Emil kennt eben auch die Cross-Country-Runden, in die er immer wieder kleine Singletrail-Passagen einbaut – ganz nach Gusto und Können der Gäste.

Für die steilen, südseitigen und im Sommer der Sonne ausgesetzten Auffahrten am Fuß der Leoganger Steinberge ist ein Stromer auf jeden Fall eine tolle Sache. Wir wollen dieser himmelhoch aufragenden Fels-Bastion ganz nahe kommen, denn sie hält allerhand Geschichten parat. Einst gab es hier den am tiefsten gelegenen Talgletscher Mitteleuropas. Das mächtige Eisfeld am Fuß des Birnhorns reichte um die Wende zum 19. Jahrhundert bis unter die Waldgrenze. Es wurde von den riesigen Schneemassen gespeist, die im Winter über die 1400 Meter hohe Felswand in den Öregenkessel donnerten. Jeden Sommer brachen bis zu hundert Arbeiter Eisblöcke aus dem Gletscher, ließen sie auf einer Rutsche bergab sausen und verfrachteten sie dann auf die Bahnschienen. Das Eis ging vorwiegend nach München, wo es die Brauereien zur Kühlung des Biers nutzten. An manchen Tagen rollten 300 Wagons gen Bayern. Heute ist dieser natürliche Kühlschrank auf Eis-am-Stiel-Größe zusammengeschmolzen. Man kann aber bis zum Parkplatz kurbeln, dort das Bike stehen lassen und dann auf einem schönen Weg zum Mini-Gletscher wandern.

Wieder zurück im Tal lotst uns Emil auf die offizielle „E-Bike-Genusstour“, die ihrem Namen alle Ehre macht, und bei der ausnahmsweise einmal nicht der Sport im Vordergrund steht. Die einfache Strecke mit 33 Kilometern und 330 Höhenmetern führt an zahlreichen Hofläden (Öffnungszeiten beachten!) und bei Bauern vorbei, die reichlich Rastmöglichkeiten bescheren. Sogar eine Imkerei, einen Alpakastall und die Destille von Siegfried Herzog kann man hoch zu E-Ross besuchen. Außerdem kann man sich an Selbstbedienungskühlschränken und -automaten mit lokalen Schmankerln (selbst-)versorgen. Wer, wie wir, die Tour verlängern möchte, findet zudem Ladestationen am Wegesrand, gemäß dem Motto des Tourismusverbands: „Volle Ladung für ein tolles E-Bike-Erlebnis“. Und deshalb brauchen wir uns keinen Akku-Stress zu machen, als wir für einen Side-Kick in das enge Tal des Stoissengraben nahe Saalfelden am Steinernen Meer einbiegen. Die türkisgrünen Gumpen des Buchweißenbachs laden im Hochsommer zum Baden ein. Jetzt, am Saisonende, begnügen wir uns mit einem Fotostopp, und staunen nicht schlecht über diesen wilden Canyon, ehe wir zur Einsiedelei hoch über Saalfelden weiterziehen, eine der letzten bewohnten Eremitagen Europas.


Bei der Rückfahrt über grüne Kuppen und durch tiefgrüne Wälder haben wir die Steinberge, diese schroffen Kalkriesen, abermals vor uns: Was für ein prächtiges Panorama! Und ganz ohne Puls am Anschlag! Wir bauen deshalb noch weitere Extra-Loops ein. Emil führt uns zum ehemaligen Badhaus und zeigt uns den Gunzi-Trail sowie ein verstecktes Moor, ehe wir im auf Radfahrer spezialisierten Biohotel Rupertus einchecken, wo bereits selbstgemachte Kuchen und der großzügige Außenpool auf uns warten.


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